Interview mit Maria Ferdinand
Als pädagogische Mitarbeiterin in der stationären Jugendhilfe im Auxilium Reloaded in Dortmund ist Maria Ferdinand seit fast fünf Jahren Vertrauensperson und Strukturgeberin. Maria hat Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Soziale Arbeit studiert. Sie hat immer ein offenes Ohr für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in ihrer Einrichtung und begleitet diese auf ihrem Weg zu mehr Medienkompetenz und einem gesunden Umgang mit Smartphone und Co.
Für Maria bedeutet Nähe bei den Malteser Werken, "weil Beziehung zählt." Was sie damit meint, und wie sie Beziehungen in ihrem Arbeitsalltag erlebt, erfahren Sie im Video & Interview.
Hallo, Maria!
Bei euch leben junge Menschen, die riskanten Medienkonsum gezeigt haben. Dürfen sie trotzdem ihr Smartphone nutzen?
Maria: Wir machen das anders als viele Kliniken. Wir legen den Fokus nicht auf die Abstinenz von Medien, sondern auf das Erlangen von echter Medienkompetenz. Wir sind der Meinung, dass es heutzutage kaum möglich ist, komplett ohne Medien den Alltag zu bestreiten, weil unsere Gesellschaft die Nutzung von Medien erwartet. Sowohl in der Schule als auch im Beruf. Deswegen haben wir ein Stufenmodell etabliert, in das die Nutzung von Medien integriert ist und dass die Teilnehmenden während ihres Aufenthaltes bei uns durchlaufen. So erlangen unsere Bewohner Schritt für Schritt mehr Selbstständigkeit und ihre Freiheiten zurück. Das Ziel ist es, dass sich die Teilnehmenden zukünftig wieder selbst regulieren können.
Kannst du uns einmal mit durch deinen Arbeitsalltag nehmen?
Maria: Einen klassischen Arbeitsalltag gibt es bei uns tatsächlich nicht, weil jeder Tag ein bisschen anders aussieht. Ich arbeite im pädagogischen Alltag im Schichtsystem. Dort arbeiten wir nach dem Bezugsbetreuersystem. Das heißt, dass wir den Bewohnern als Ansprechpartnerinnen zugeteilt werden. Somit sind wir stärker in der Materie bei unseren Bewohnern. Wir habe in der Regel jeweils drei Bewohner im Bezug. Wesentlicher Inhalt unseres Arbeitsalltags ist es die Bewohner zu begleiten, dahin, ihren Alltag zu strukturieren. Vom Aufstehen morgens, bis zur Tagesstruktur, also wie die Jugendlichen intern bei uns im Haus oder extern in der Schule auf der Arbeit ihren Tag verbringen, bis zum ins Bett gehen. Durch ein Stufenmodell ist alles genau durchstrukturiert. Zudem versuchen wir immer wieder den Jugendlichen näherzubringen, warum Strukturen sinnvoll sind und auch Vorteile haben können. Oft ist der Tag-Nacht-Rhythmus durcheinander, sodass es erstmal komisch ist, sich darauf einzulassen.
Ansonsten geht es darum Alternativen aufzuzeigen, wie man fernab der Mediennutzung seine Freizeit gestalten kann. Wir machen viel im Bereich Freizeit, vor allem in den Ferien. Da haben wir für jeden Tag Angebote, um zu zeigen „Was kann man in der Nähe machen? Was bietet Dortmund kostenlos oder kostengünstig?“. Wir helfen zum Beispiel Hobbys zu finden und eine Freizeitbeschäftigung, die im besten Falle mehr Spaß macht als der Medienkonsum. Dann geht es im Alltag darum die Ansprechpartnerin zu sein, die den Kontakt zu Kostenträgern hält, Berichte schreibt, also ziemlich bunt gemischt. Wir begleiten Termine, führen Beratungsgespräche oder unternehmen mit den Bewohnern einzeln etwas, weil es bei uns ja ganz stark um Bindungen geht.
Das Thema Bindung ist bei euch ein ganz Zentrales. Zu Beginn deiner Tätigkeit warst du ähnlich alt wie die Bewohner. Wie war das für dich?
Maria: Das war erstmal ungewohnt und hat mich herausgefordert, weil tatsächlich viele Bewohner älter waren und wir nur männliche Bewohner haben. Aber es lief tatsächlich ziemlich schnell gut. Also ganz oft hatten eher die Bewohner das Gefühl, dass es unangenehm für sie war. Ich war jünger und trotzdem zuständig für sie als Ansprechpartnerin. Sie selbst hatten aber vielleicht noch keinen Schulabschluss oder Probleme, sich zu integrieren, das war für sie meistens schwieriger. Aber in diese Herausforderungen wächst man mit der Zeit rein. Vor allem, was Elterntelefonate angeht, weil es schon eine Überwindung ist, Eltern Hinweise oder Tipps zu geben, die ja deutlich älter sind als man selbst. Da wird das klassische Rollenmodell durchbrochen.
Welche Rolle spielt ihr für die Bewohner?
Maria: Hm. Spannende Frage. Also, ich glaube wir fungieren in erster Linie als Vertrauenspersonen. Darüber hinaus haben wir aber ganz unterschiedliche Rollen, je nachdem, wie gut wir mit dem jeweiligen Bewohner gerade auskommen. Als Unterstützerin im Alltag, als Ansprechpartnerin, wenn etwas nicht klappt.
Wir treten auch als Vermittlerin zwischen den Eltern oder dem Jugendamt und den Bewohnern auf. Teilweise auch als Person, mit der man sich gerne mal streitet oder auseinandersetzt. Das gehört zur Beziehungsarbeit dazu. Daran kann eine Beziehung wachsen und eine Beziehung hält Streit ganz oft gut aus. Dazu kommt die Rolle der strengen Aufpasserin. Einfach, weil wir immer auf die Regeln und Strukturen, die es hier im Haus nun mal gibt, verweisen. Ich glaube, die eine Rolle gibt es nicht. Da nehmen wir ganz viele verschiedene Rollen ein.
Wir haben jetzt vieles über die Aufgaben und eure Rollen gehört. Kannst du aus deiner Perspektive eine Einschätzung abgeben, was BewerberInnen mitbringen müssten?
Maria: Ich würde auf jeden Fall sagen Empathie, weil es in erster Linie um die Bewohner geht. Darum, dass die in den Mittelpunkt gestellt werden. Damit sie hier ihren Weg machen. Und Geduld, weil es teilweise ein ziemlich mühsamer Prozess sein kann. Offenheit und eine gewisse Lockerheit gegenüber neuen Dingen, verschiedenen Einstellungen und auch verschiedenen Charakteren sind wichtig. Zudem ist Zuverlässigkeit unerlässlich, weil es wichtig ist, sich im Team aufeinander zu verlassen. Allein sein Ding zu machen, funktioniert einfach nicht. Generell handelt es sich bei uns um Beziehungsarbeit. Da muss man mit Zurückweisung umgehen können und verstehen, dass diese nicht persönlich gemeint ist, sondern im Prozess ganz normal ist und nicht auf die Qualität der eigenen Arbeit bezogen werden darf. Zudem braucht man auch Wiederstandfähigkeit. Wir haben pubertierende Jugendliche und enge Strukturen und es funktioniert nicht immer, nur weil wir diese Regeln haben. Viele wollen sich ausprobieren und können sich manchmal aus verschiedensten Gründen nicht einfügen. Da muss man eine gute Balance zwischen Nähe und Distanz finden, weil es eine professionelle, berufliche Beziehung ist, die aber gleichzeitig auch authentisch sein soll.
Vielen Dank für Deine Zeit, Maria!