„Wir hatten vor Kurzem ein klasse Hilfeplangespräch, so wie wir es uns als Mitarbeitende der Jugendhilfe eigentlich nur wünschen können. Im Grunde ist das ja schlichtweg unser tägliches Geschäft, klassische Jugendhilfe-Arbeit eben. Aber zu sehen, dass eine Maßnahme einfach richtig gut zu Ende gebracht werden kann, unter Beteiligung und mit Unterstützung vieler Partner und über einen Prozess von fast 9 Jahren, war und ist berührend für mich und uns als Einrichtung.“ Und weil (erfolgreiche) Jugendhilfe-Arbeit nicht immer nur in Superlativen geschieht, möchten wir heute diesen nahezu alltäglichen Bericht aus einer stationären Jugendhilfe-Einrichtung teilen.
Die Villa Felix ist eine therapeutische Facheinrichtung für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche mit Lernschwächen. In ihr hat der 15-jährige Jason (Name geändert) seit 2,5 Jahren ein zu Hause gefunden. Vor seinem Einzug in die „Villa“ hat Jason sechs Jahre in einer spezialisierten Einrichtung eines anderen Trägers mit engem Regelwerk zugebracht und er blickt so auf fast 9 Jahre stationäre Jugendhilfe zurück.
Wie alle Kinder der Villa Felix hat auch Jason seine eigene, besondere Biografie und Krankheitsausprägung. Jasons Vorgeschichte ist geprägt durch wiederholten starken Alkoholkonsum der Mutter; sein Verhältnis zu ihr ist bis heute ein schlechtes, den Kontakt lehnt er ab. Die wohlwollende und liebevolle Konstante in seinem Leben ist sein Vater, der seinen Lebensunterhalt mit Garten- und Landschaftsbau verdient und bei dem Jason aufblüht, sein Wesen öffnet und einen Anker findet. Jasons größter und immer wieder geäußerter Wunsch ist die Rückkehr zu ihm. Der Besuchskontakt besteht gegenseitig und findet regelmäßig statt. Jasons Vater ist kognitiv stark eingeschränkt und wäre eigenständig nicht in der Lage, den Weg von seinem rund 100 Kilometer entfernten Wohnort nach Werl zu „meistern“. Ein Sozialarbeiter, der die Familie seit 2,5 Jahren kennt und betreut, begleitet den Vater daher stets bei den Besuchsreisen.
Alkoholmissbrauch in der Schwangerschaft und die Folgen
Jason ist ebenfalls kognitiv stark eingeschränkt und nahe an einer geistigen Behinderung; sein Gehirn ist durch den Alkoholmissbrauch der Mutter während der Schwangerschaft geschädigt. Durch das Beiwohnen bei einer sexuellen Handlung ist Jason traumatisiert. In seiner Sozialkompetenz stark gestört, tritt er mit den Kollegen und Mitbewohnern der Einrichtung durch Beleidigungen, Gewalt und negativen Ausdrücke in Kontakt. Er ist nur punktuell gruppenfähig und verhält sich im Beisein anderer nahezu durchweg dissozial. Im Einzelkontakt und insbesondere in handlungsorientierten Settings wie gärtnern und handwerkeln hingegen ist Jason wie ausgewechselt: interessiert, lebhaft, aufmerksam, friedlich – ein „super Junge“. Ermöglicht durch 15 Fachleistungsstunden unserer ambulanten Familienhilfe konnte Jason außerdem tiergestützt arbeiten. Im Umgang mit dem Pferd der Familienhelferin zeigte er sich liebevoll und wertschätzend – „einfach tolle Momente!“
Wie kann die Zukunft aussehen?
Wie kann und wie sollte der Weg für Jason erfolgreich weitergehen? Im pädagogischen, therapeutischen und persönlichen Sinne? Und was meint dann eigentlich erfolgreich? Die Kinder und Jugendlichen unserer Einrichtungen sind mit ihren ganz individuellen Persönlichkeiten und Problemlagen bei uns, um zu gesunden, Alltagsstruktur zu erleben und zu lernen sowie berufliche und persönliche Ziele zu finden und zu erreichen. Das alles gilt auch für Jason. Sein am klarsten formuliertes Ziel: „Ich möchte zurück zu meinem Vater und dort leben.“
Es sah lange nicht so aus, als wäre dieser Wunsch aufgrund des Lebensumfeldes realisierbar. Dennoch, die Einrichtung hat es, als Folge einer Kette von Ereignissen und im Austausch mit allen an der Hilfe beteiligten, diskutiert und abgewogen – und letztlich im letzten Hilfeplangespräch möglich gemacht. Alle Beteiligten – das Jugendamt, der Vormund, die Begleitung des Vaters, die örtliche Fachstelle für stationäre Hilfen und Rückführung – waren sich einig: Jason soll zurück zu seinem Vater, dort ein Langzeitpraktikum absolvieren und mit Unterstützung Tagesstruktur finden. Der Sozialarbeiter wird Jasons Vater weiterhin unterstützen und darüber hinaus und 7 Tage in der Woche immer wieder in der Familie respektive bei Jason sein, so dass eine Rundumbetreuung gewährleistet ist.
Ein wohltuender Erfolg für Jason und seinen Vater sowie für die Mitarbeitenden der Einrichtung. Dieser wurde möglich gemacht, weil
- Jason in seinem Wunsch und persönlichem Ziel ernst genommen und gehört wurde und sich so selbstwirksam erleben konnte,
- der gesamte Prozess für alle Beteiligten in Dokumentation und Informationsfluss transparent war,
- die „Betroffenen“ seit vielen Jahren von denselben Personen begleitet wurde und der Prozess so einschätzbar war,
- die (personelle) Kontinuität die Qualität der Arbeit gesichert hat
- das Gespräch gut vorbereitet war und die Beteiligten allesamt konstruktiv den Blick auf das Wohl des Kindes hatten,
- und weil ein wenig Mut vorhanden war, nicht die nächste Jugendhilfe-Maßnahme zu verordnen, sondern das „Hamsterrad Jugendhilfe“ zu beenden.
Bei aller Fachlichkeit hatte das Gespräch und sein Ergebnis viel Berührendes und Emotionales abseits der täglichen Wohngruppenroutine.
Wir wünschen Jason für seinen weiteren Weg alles Gute!
Diese Geschichte steht stellvertretend für viele andere tagtägliche kleinere und größere „Erfolgs-Storys“ die in unseren Einrichtungen – ob Migration, Schule oder eben Jugendhilfe – passieren. Die Personen und Orte sind also quasi austauschbar. Wir haben sie erzählt, weil sie uns berührt und die Mitarbeitenden motiviert hat. Und weil man oftmals vergisst, einfach mal Gutes zu berichten. Als hätten nur die Katastrophen einen Nachrichtenwert. Das ist bei weitem nicht so.